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Barbelin Diederich (1572)

Seid gegrüßt, ihr Leut‘.  Habt ihr vorhin in der Neustadt auch den Brautzug gesehen, der dem Bäcker Schwenkler die neue Frau ins Haus gebracht hat? Armselig, ganz armselig!  Aber die Leute wollen ja wissen, wer da demnächst in die Nachbarschaft aufgenommen wird. Wenn ich da an meine Hochzeit denke. Na ja, um ehrlich zu sein, meine Truhe war zwar erheblich schöner und besser gefüllt, aber es gab kaum Leute, die wissen wollten, wen sich der Sohn des Hildesheimer Scharfrichters da als Braut genommen hat. Nur meinen Vater, den Braunschweiger Scharfrichter Christoph Gördens, den haben sie begafft, als ob’s der Leibhaftige selber wäre. 

Als Mädchen in einer Scharfrichterfamilie aufzuwachsen, sag ich euch, das ist nicht leicht. Natürlich musste ich bei meiner Mutter alles lernen, was ein Weib wissen muss, also Spinnen, Weben, Nähen, Kochen und vieles mehr. Manch Braunschweiger Bursch hatte ein Auge auf mich geworfen, aber auf Tändeleien durfte ich mich nicht einlassen, schließlich wäre eine Hochzeit mit einer wie mir nie erlaubt worden. Und meine Eltern haben mir immer wieder eingebläut, meines Vaters Handschrift war oft schmerzhaft klar, dass sie mir den Richtigen schon aussuchen würden. Aber dann hat mein großer Bruder seine Braut heimgeführt und auch für mich wurde es höchste Zeit, in die Vormundschaft eines Ehemannes gegeben zu werden. Immerhin war ich da schon 16 Jahre alt.

Ja, und wieso ich jetzt seit über 20 Jahren in Hildesheim verheiratet bin, das ist eine lange und schöne Geschichte.

Wollt ihr sie hören?

LeonieMeyerhof
Leonie Meyerhof, Aus alten Zeiten (ca. 1906)

Seien Sie sehr herzlich begrüßt, meine Damen und Herren.

Mein Name ist Leonie Meyerhof. Ich wurde im Jahre 1858 hier in Hildesheim geboren, lebe aber schon lange in Frankfurt.  Neben meiner journalistischen Arbeit habe ich Novellen und Romane veröffentlicht,  in denen ich mich oft für Rechte von Frauen einsetze.

Kürzlich hat mich ein Aufsatz des Herrn Dr. Möbius schrecklich geärgert, der doch tatsächlich behauptete, den Beweis für den „physiologischen Schwachsinn des Weibes“ gefunden zu haben. Es gab eine Menge von empörten Leserbriefen pro und contra, und als meine Antwort erschien jetzt ein kleines Buch, das so manche Männer-Überzeugungen mit spitzer Feder aufspießt.  Der Titel ist: „Penthesileia.  Ein Frauenbrevier für männerfeindliche Stunden“. 

Einige Beispiele möchte ich Ihnen hier kurz zitieren:

 [Siegfried: „Wie war es dir möglich,“  fragte Brunhild ihren einstigen Geliebten, „mich um einer Kriemhild willen zu verlassen? Konntest du je glauben, sie würde dir eine gleichwertige Gefährtin werden – oder bist du dir deines Wertes nicht bewusst?“
„Du bist dir auch des deinen bewusst,“  versetzte Siegfried, „und das ist mir lästig. Bedeutende Frauen sind auf die Dauer zu unbequem. Man kann an ihnen nicht einmal seine Launen auslassen, ohne dass man in Gefahr kommt, vor ihnen lächerlich zu werden. In Kriemhilds Augen bin ich in jedem Augenblicke der Halbgott, selbst wenn ich ihr um eines abgerissenen Hemdenknopfes willen sage, sie sei meiner nicht würdig.“]

Theseus: Nachdem Ariadne den Theseus durch ihre Klugheit und Hingebung aus dem Labyrinth gerettet hatte, ließ er sie auf Naxos sitzen.
Nun – und was weiter? Was ist dabei Ungewöhnliches -?

Aus dem Tagebuch eines berühmten Mannes:

1) Meine Frau besitzt ebenfalls ein Talent. Da sie das meine als das größere anerkennt, so bin ich entschlossen, ihr das ihre zu verzeihen.

2) Sage mir, wie hoch du mich schätzest, und ich sage dir, wer du bist.

Und noch zwei Zitate aus: Penthesileias Lexikon:
Abneigung           kein Ehehindernis
Adam                   der erste jener Unmündigen, die da sagten: Herr, das    Weib verführte mich!


So geht es weiter bis zum Z, doch diese Beispiele sollen für heute genügen.

Ich hege die Hoffnung, ich habe die Damen erfreut und die Herren nicht allzu sehr erzürnt.


Frl. Wilhelmine Antoniette Lüntzel  (1805-1863)

Oh mein Gott, nun bin ich schon wieder so spät dran, und das, obwohl ich mich so sehr geeilt habe. Dabei ist noch so vieles vorzubereiten und zu erledigen. Die Tischkarten, die Blumenbouquets,  ach und noch vieles mehr. Schließlich möchten wir alle, dass der Ball heute Abend hier im Rheinischen Hofe unvergesslich wird. Der krönende Abschluss, sozusagen. Und wer hat eigentlich die wertvolle große Fahne aufbewahrt, die wir Damen der hiesigen Liedertafel dieses Jahr spenden?

Ja, seit zwei Tagen, seit dem 30 April 1840, befinden sich wieder die Sänger der nahen und weiten Umgebung in der Stadt um sich im Wettstreit zu messen. Was für ein Fest! Vor zwei Tagen am Nachmittage kamen die Sänger mit ihren Wagen, meist mit 4 Rossen bespannt, durch das Dammtor in die Stadt und wurden mit Kanonenschüssen und großem Jubel begrüßt. Am Abend dann speisten 6-700 Herren im Rhein. Hofe und hernach lauschten wir dem Gesang von 180 geübten Stimmen auf dem Domhofe.

Gestern ging es dann munter weiter. Zuerst Gesang am Morgen auf dem Marktplatz, hernach eilte man zu Fuß und in 230 Wagen zum Heidekrug zum Frühstück. Anschließend nach Marienrode und zum Klingenberge – abermals feinster Gesang. Um 2 Uhr Gesang in der Kirche in Anwesenheit seiner Hoheit, dem Kronprinzen,  und am Abend erwarteten wir 900 Gäste im Rheinischen Hof!!

Ach, und morgen ist das ganze große Vergnügen dann wieder vorbei. Morgen in der Früh geht es noch zum Wohldenberg und zum Söder, natürlich wieder unter Gesang, und am Abend schließlich der große Ball mit Feuerwerk um Mitternacht. Wir hoffen auf mehr als 1000 Gäste! Ja das Hildesheimer Sängerfest gehört nun einmal zu den außerordentlichsten Vergnügungen und wir, die Damen der Hildesheimer Liedertafel haben natürlich unseren Anteil daran, auch wenn der Gesang natürlich den Herren vorbehalten ist. Aber Zuhören ist auch ganz beglückend.

Elfriede Graf Pächterin der Domäne Marienburg (1880-1952)

Einmarsch der Amerikaner

Am Samstag, den 7. April 1945, rückt die Panzerdivision der  9. US-Armee nach Hildesheim vor. Über Ochtersum, den Hohnsen  rollen die Panzer heran. Aus den Fenstern hängen weiße Bettlaken. Aus der Stadt gibt es keine Gegenwehr, der Krieg hat schon zu viele Opfer gekostet. Als die Soldaten am Zimmerplatz anhalten, wagen sich einige Hildesheimer näher heran. Sie wollen doch mal sehen, wie die Amerikaner aussehen. Große sportliche Gestalten, zum Teil mit schwarzer Hautfarbe. Die rauchen und trinken Coca-Cola.

Hildesheim war nun eine besetzte Stadt, ohne Kampf eingenommen. Die Parteiführer, Gestapo und SS hatten sich rechtzeitig aus dem Staube gemacht, nach Süden. Die Wehrmacht war nach Osten zurückgewichen.

Von allen Kirchtürmen im Umkreis wehten weiße Fahnen den anrückenden Kolonnen unter dem Sternenbanner entgegen – den SS-Streifen zum Trotz, die wütend die Einholung der weißen Fahnen verlangt hatten – um bald danach sang- und klanglos zu verschwinden. Stadt und Land hatten sich der Befehlsgewalt des Siegers zu beugen. Schrecklich genug war es der Bevölkerung ausgemalt worden, wie es nach einer Kapitulation zugehen werde.

Aber es war nicht so, die fremden Truppen, die „Amis“, benahmen sich, von einzelnen Entgleisungen abgesehen, im Ganzen ordentlich, gesittet. Aber die ehemaligen Zwangsarbeiter, die Verschleppten aus dem Osten, aus Italien …..sie hatten in Hildesheimer Industriebetrieben gearbeitet, im Trillke-Werk von Robert Bosch oben im Hildesheimer Wald, bei Senking und Ahlborn und den Vereinigten Deutschen Metallwerken. Die so lange Unterdrückten, sie fühlten sich jetzt als Herren.

Auf der Domäne Marienburg hatten sich mehr als 100 Polen und Russen im Dorf gesammelt und in der Schnitterkaserne des Gutes Unterkunft gefunden.  Wir hatten fürchterliche Angst, dass es zu Plünderungen kommen konnte. Hatten doch so viele Verwandte mit Ihren Kindern und alten Menschen auf der Domäne Unterschlupf gefunden. Nachdem es im benachbarten Gut Marienrode zu Plünderungen und Übergriffen gekommen war, wandte sich meine Schwiegertochter Ingrid, die Frau meines jüngsten Sohnes Helmut, dem Pächter,  der noch nicht nach Hause gekommen war, an die US-Militärpolizei und erreichte den Schutz der Besatzungsmacht für die nächsten Monate. Kindern und Frauen gegenüber waren die Amerikaner sehr freundlich, sie bekamen Apfelsinen und Schokolade von ihnen.


Ingegjerd Andersen aus Norwegen, 16. Jahrhundert

Aus alten Zeiten – die hansischen Verbindungen

Als Gast des Bürgermeisters Wildefuer berichtet die Norwegerin Ingegjerd Andersen über ihren Besuch.

Saa mye folk. Hva vii dere her? Er dere paa vei til Hansedagen i Lübeck? Ach, verzeiht! Ich, vergaß. Ich spreche ja Norwegisch mit euch. Tut mir leid. Ich bin Norwegerin, mein Name ist Ingegjerd Andersen. Ich komme aus Bergen von der Westküste Norwegens. Ihr wundert Euch sicherlich. Ich werde Euch alles erzählen.

Euer Bürgermeister Hans Wildefüer und mein Ehemann Asgeir Andersen haben sich auf den Hansetagen in Lübeck vor einigen Jahren kennengelernt und angefreundet. Vor einem Jahr meinten  sie, ihre Ehefrauen, Mette und ich, sollten uns auch kennenlernen. Mette und ich mögen uns sehr. Wir haben viel gemeinsam. Beide führen wir ein großes Haus mit vielen Bediensteten. Unsere Männer sind bedeutende Persönlichkeiten und viel unterwegs, auf Handelsfahrten und auch zum Schlichten.

Wir Ehefrauen halten ihnen immer den Rücken frei und sorgen dafür, dass, wenn sie nach Hause kommen, aIIes im Lot ist: die Kleidung sauber und gebürstet, ein gutes Essen auf dem Tisch steht und der gute Rheinische Wein eingeschenkt ist.

Bergen gehört zum Hanseverbund wie auch Hildesheim. Mein Mann ist der Leiter des Hansekontors in Bergen. Am Hafen liegt die „Deutsche Brücke“, „Tyskebryggen“ genannt, mit großen Speichern, wo wir unseren Trocken- und frischen Fisch lagern. Wir treiben Handel mit London und den  Ost­seehäfen Brügge, Riga, Visby auf Gotland, Rostock, Lübeck. Immer wenn die stolzen „Hanse­koggen“ ankommen, sieht man sie schon von Weiten mit ihrem dicken, bauchigen Rumpf und den rot-weißen Zeichen in den Fahnen. Wir sind immer gespannt, was sie diesmal mitbringen.

Aus Russland: Getreide, Pelze, Wachs; aus dem Westen: Tuche, wunderschöne Stoffe, Wein; aus dem Orient: herrliche Gewürze?

Lübeck wurde im Jahre 1143 gegründet. Man geht davon aus, dass die Hanse um 1159 entstanden ist. Die Hanse ist nicht nur ein Handelspakt, sondern die Mitglieder helfen sich gegenseitig beim Schutz vor Übergriffen feindlicher Schiffe auf See.

Nun sind unsere Männer wieder mal unterwegs. Mette hat mich gebeten, ihr Gesellschaft zu leisten. Ich tue es gerne. Sie tut mir leid. Immer wenn der Winter kommt, bekommt sie Gliederreißen und sie ist so schwach auf der Brust. Sie hat so einen schlimmen Husten. Ich habe Angst, dass könnte die Schwindsucht sein. Sie ist so eine feine, stille Frau. Ihr Gesinde passt auf sie auf und gehorcht ihren Befehlen. Was heißt Befehle. Sie braucht nur ein Zeichen zu geben, dann wissen sie Bescheid, was zu tun ist.

Ich bin das Gegenteil. Ich bin stark, bin an der norwegischen Küste aufgewachsen, geprägt von Wind und Wetter. Ich würde ihr zu gerne von meiner Gesundheit abgeben.

Ich muss mich nun von euch verabschieden, habe versprochen nicht so lange weg zu bleiben, muss an der Ratsapotheke vorbei. Der Apotheker hat ein Mittelchen für Mette gemischt, welches ihren Husten lindern soll.

Charlotte Ohlendorf, Marktfrau vom Moritzberg (1816-1905)

Winter 1880/81

Ich bin ja so froh, dass das Schneewetter in diesem Jahr sich schnell wieder verzogen hat. Gar nicht so einfach durch die Schneemassen zu stapfen! Aber erinnern Sie sich noch an den letzten Winter? Wochenlang war der Regen uns auf’s Dach gepladdert, dann kamen Unmassen Schnee hinterher. Als der Schnee im Harz schmolz, konnte die Innerste das heranbrausende Wasser nicht mehr fassen, Dämme vor Hildesheim brachen mehrmals, riesige Wassermenge wälzten sich auf die Stadt und dann auf Moritzberg zu.

Das Wasser drang vom Kupferstrang aus von hinten in die Häuser ein, floss vorn zur Dingworthstraße hinaus  – und was da alles im Wasser schwamm! Igitt-igitt! Mich schüttelt‘s noch heute, wenn ich daran denke!

Die Leute bauten aus allem, was sie fanden, Notstege, damit sie nicht durch die eisige, stinkende Brühe waten mussten. Ich wohne in der mittleren Bergstraße. Bis dahin kam das Wasser zum Glück nicht, aber ich kam nicht mehr zu Fuß nach Hildesheim. Völlig abgeschnitten waren wir von der Stadt! Ein Leiterwagen fuhr noch ab und zu nach Hildesheim. Den habe ich auch mal benutzt an Markttagen. Aber stellen Sie sich vor, das kostet 10 Pfennige pro Fuhre. Für die 20 Pfennige hin und zurück kann ich mir schon 2 Pfund dunkles Brot kaufen! Und manchmal nimmt der Fuhrknecht, dieser gierige Lump, noch mehr Geld, wenn viele Leute mitfahren wollen!

Am schlimmsten war es für die armen Leute, die ihre Häuser  und Gärten direkt am Kupferstrang haben.  Sie verloren einen Großteil ihrer Habe und Vorräte – alles verjaucht und verdorben! Niemand wollte helfen. Vom Amt Marienburg hieß es: „Wer an gefährdeter Stelle ein Haus baut oder Gärten anlegt, hat selbst Schuld und muss mit gelegentlichen Überschwemmungen rechnen, diese hinnehmen oder eben umziehen.“ Und wieder bleiben die armen Leute mit ihren Problemen allein und auf den Schäden sitzen. Ich frage Sie, welche armen Familien können sich aussuchen, wo sie wohnen oder einen Garten beackern wollen? Sie müssen doch froh sein, überhaupt ein Dach überm Kopf zu haben! Von den feinen Fabrikantenfamilien wohnt keine einzige da unten am Wasser! Es bleibt immer alles an den Armen hängen! Ob sich das jemals ändern wird?

Mitglied im BVGD - Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V. - www.bvgd.org